25. Oktober 2010

Ein Land im Wandel

Als vor nicht einmal einem halben Jahr die Demonstrationen der Rothemden in Bangkok durch die Medien gingen, hätte ich es als doch schon für ziemlich unwahrscheinlich gehalten, während meines Jahres in Thailand Teilnehmer einer Demonstration zu werden. Und nun ist genau das passiert. Und nicht nur, dass ich Teilnehmer gewesen sei, ich habe sogar bis nach Mitternacht am Vorabend ein an einem Transparent gemalt. Es passieren eben auch unvorhergesehene Dinge.

Und all die, die sich jetzt fragen, ob ich nun gelb oder rot getragen haben oder gar fürchten, ich sei lebensmüde geworden, kann ich beruhigen: Die Demo war legal und richtete sich gegen ein Bauvorhaben der thailändischen Regierung.

Anhand diesem Bauvorhaben und des Protest versuche ich in diesem langen Beitrag ein wenig Thailands Rolle in der Weltwirtschaft von innen darzustellen. Quasi hat ein Teil meiner Arbeit hier, direkt mit Thailands Wandel zu tun.

Aber der Reihe nach.

Thailand ist wahrscheinlich ein Schwellenland per excellence. Essen wird hier eher weggeschmissen als aufgehoben. Akute Armut gibt es hier (im Süden) nicht. Dennoch „dusche“ ich mich, indem ich einen Eimer mit selbst geschöpftem Wasser über den Kopf schütte. Auf meinem Schulweg muss ich aufpassen, keine Hühner zu überfahren. Denn sehr viele Familien halten Hühner hier, um von denen zu leben.

Man kann aber auch 30 Minuten mit einem Auto fahren, welches auch in Deutschland seinen TÜV-Stempel bekäme und landet in einem Tesco oder Carfour, die so eins zu eins in England oder Texas stehen könnten. Dort kann ich mein Hühnchen bei KFC essen.

Wiederum 100 Meter weiter trifft man auf dem Markt Menschen Tätigkeiten ausüben, die dem informellen Sektor zuordbar sind. Hier verdienen Leute Geld (dazu), indem sie auf dem Markt nichts weiter tun, als gewöhnliche Cola mit Eis im Becher zu verkaufen.

Und so sehr, wie sich die Einkaufmöglichkeiten unterscheiden, unterscheiden sich auch die Lebensstile. Der Manager einer KFC-Filiale führt ein Leben, weitgehend wie wir im Westen, während der Fischer hier in Kok Payom ein komplett anderes führt.

Die Toilette.

Die "Dusche".

Und so sieht unser Laden in Kok Payom aus...

... und so Carfour...

...mit abgepacktem Gemüse.

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McDonald gibts natürlich überall.


Ich habe das Glück, wahrscheinlich anders als der Sohn des KFC-Managers oder Kassiers von Carfour, dieses andere Leben kennen lernen zu dürfen. Es ist beeindruckend, zu sehen, wie frei von Konsum die Menschen hier im Dorf sind.

Obwohl sich auch bei den Dorfbewohnern ein scheinbar natürlicher Instinkt löst, auch das haben zu wollen was der Nachbar hat, bewahren sie wichtigeren Dingen einen tieferen und sicheren Platz in ihrem Herzen, Dingen, wie Familie, Glück und des Nachbars Glück.

Und so wird einem hier mehr Essen angeboten, als der Magen verträgt oder sein gutes Gewissen aushält, obwohl wir Freiwillige doch so viel reicher sind. Der formale Präsident meiner Organisation, der vom Leben hier so gepackt wurde, dass dieser hier hinzog, darf in dem Zweithaus eines Dorfbewohners wohnen, ohne das dieser dafür Miete möchte. Wenn größere Arbeit im Reisfeld ansteht, wie das Pflanzen neues Reis‘, helfen unzählige Frauen aus. Nur mit Wasser und Snacks bezahlt, stehen diese dann in praller Sonne bis zu den Knien im Matsch gebückt und pflanzen Reis, obwohl jemand anderes viel Geld mit dem Verkauf des Reis‘ verdient.

Auf Grund der starken Dorfgemeinschaft betreibt das Dorf gemeinsam einen Recyclehof, Hühnerhof und Pilzfarm. Alle sind sich hier Freund und Freundin. Es ist, wie angedeutet, nicht ungewöhnlich, spontan zum Essen eingeladen zu werden. Und wenn man dann auf irgendeiner Terrasse sitzt, ist es wiederum mehr als gewöhnlich, dass sich ein vorbeilaufender Passant einfach dazu setzt und auch, dann aber nachdem es angeboten wurde, mitisst. Zur Abendzeit ist hier wahrscheinlich kein Haus ausschließlich mit seinen Bewohnern behaust.

So schön es ist, Zuschauer dieses Lebens sein zu dürfen, muss ich aber leider auch feststellen, selbst dieses Leben zwar beobachten, es dann vielleicht auch rational verstehen und nachvollziehen kann, es selbst aber nie, davon bin ich überzeugt, vom Herzen begreifen werde, sodass es mir maximal gelänge, dieses Leben vollständig nach- und dann mitzuleben, ich es jedoch selbst nie leben könnte. Zu sehr bin ich dafür gefangen und abhängig von der stärksten und mächtigsten Droge überhaupt, der Droge Geld.

Leider sieht man hier in Thailand, wie Geld und der Wunsch nach Konsum immer mehr Herzen befällt.

Die Bewohner der Städte sind sicherlich zum größten Teil schon befallen.

Während in Kok Payom, zumindest die ältere Generation, wie beschrieben, andere Dinge fester im Herzen verankert hat, sich den Konsum auf sicheren Abstand hält, sieht das auch hier mit der jüngeren Generation schon anders aus.

Was genau der Auslöser ist, weiß ich nicht, vielleicht der auf dem Uni-PC eröffnete Facebook-Account, die Spielwarenabteilung im Tesco, die Geschmacksverstärker im Chicken von KFC oder die Werbung in den Rundenpausen beim Thai-Boxen. Fakt ist aber, dass die Kinder hier, mindestens bis sie 16 sind zur Schule gehen, die meisten danach zum studieren in die Stadt ziehen, dort dann oft nach dem Abschluss des Studiums für einen gut bezahlten Bürojob bleiben, statt für ein Leben als Fischer oder Hausfrau nach Kok Payom zurückzukehren.

Und nun kommt auch noch die Politik ins Spiel.

Thailand geht es wirtschaftlich nicht gerade schlecht. Dennoch macht Tourismus nach wie vor den größten Teil des Bruttosozialprodukts aus. Die Regierung, die sicherlich vom Geld befallen ist, will Thailand weiter industrialisieren. Genau deshalb baut sie - vor den Toren Kok Payoms, in Pak Bara.

Der Plan ist, jeweils einen riesen Hafen an der Ost- und Westküste Südthailands zu bauen. Die riesen Containerschiffe aus Japan, Korea und China auf dem Weg nach Europa sollen an der Ostküste anlegen, die Container dann auf Zügen das relativ dünne Landstück überqueren und dann an der Westküste wieder auf Schiffe geladen werden. Damit soll der Weg um Malaysia gespart werden (Link zu einer Karte Asiens). Die Häfen sollen den Umschlaghafen "Port of Singapore" ersetzen. Sie sollen zu den größten Häfen der Welt gehören.

Außerdem soll eine Ölpipeline durchs Land führen, um das Öl, dass sich im Meer östlich von Thailands befindet an die Westküste geleitet werden kann, um es dann von dort nach Europa und die Welt zu exportieren.

Wenn man so einen Hafen möchte, braucht man natürlich auch eine entsprechende Infrastruktur: Platz um Container zu lagern, Atomkraftwerke zur Stromversorgung (man könnte sich, wird es aber nicht, alternativer Energien bedienen), Schienen und Güterbahnhöfe etc. Sicherlich werden auch sehr schnell Fabriken, die Dinge hier produzieren, kommen. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, bis ganz Südthailand vollständig industrialisiert sein wird.

Mit der Industrialisierung wird viel Natur zerstört. Allein für den Anleger von vier Kilometer Länge hier an der Westküste, sollen sieben Inseln gesprengt werden. Unter anderem auch Inseln von Tarutao (Wikipedia), die auf Grund ihrer kulturellen Geschichte und seltener Natur ASEAN-Weltkulturerbe sind und auf dem Weg waren, UNESCO-Weltkulturerbe zu werden.

Neben der Natur, bzw. mit der Natur wird Kultur zerstört. Da, nach jetzigem Bauplan, Öltanks bis zehn Meter an die Schule Kok Payoms heran gebaut werden sollen und das Kernstück des Hafens gerade einmal zehn Minuten mit dem Auto entfernt ist, wird dass das Leben hier drastisch verändern.

Die Fischer, die sich jetzt nach dem Mond und Hausfrauen, die sich nach dem Hunger der Kinder richten, werden dann wahrscheinlich im Hafen arbeiten und sich dort an feste Arbeitszeiten halten müssen.

Wie schnell man, nachdem man bei „entfremdeter Arbeit“ nur noch des Geldes wegen und bei geistiger Arbeit nur noch in Hoffnung auf die nächste Beförderung arbeitet, weiß ich nicht. Ich sehe nur viele, viele Herzen befallend.

Ein Way of Living geht zu Ende. Ein Kulturschatz wird zerstört.

Die Bewohner Kok Payoms sind sich dessen bewusst. Deshalb sind sie Teil des Protests gegen das Bauvorhaben.

Und am Vorabend einer Demonstration gegen dieses Bauvorhaben standen wir Freiwillige plötzlich in einer Grundschule und wurden darum gebeten ein Transparent auf Englisch zu erstellen.

Generell finde ich es als Westler schwierig, den Finger zu heben, wenn sich ein Schwellenland auf Kosten der Umwelt entwickeln möchte, da wir ein Teil unseres Reichtums auf Kosten der Umwelt erlangt haben, wobei wir aber nicht den Reichtum, sondern nur die Umweltschäden mit der Welt teilen. Ebenso kann ich als Westler, wie ich finde, schlecht mit der Meinung ankommen, ein Leben ohne Reichtum sei besser. Ich fühle mich ganz einfach unwohl, als jemand aus einem industrialisierten Land kommend, gegen die Industrialisierung Thailands zu demonstrieren.

Dennoch habe ich das Plakat gemalt, mit dem Kauf eines T-Shirts den Protest unterstützt und meinen Name auf eine Unterschriftenliste geschrieben.

Ganz einfach, weil ich, als Teil der Dorf-Community hier und dem Leben das ich hier derzeit führe, gegen den Hafen bin.

Auch unterstütze ich den Protest, um ihm und der Bevölkerung hier eine weitere Stimme zu geben. Denn so wirklich gefragt wurden die Anwohner nicht. Auch wenn ich nicht weiß, wie die Stadtbevölkerung das Bauvorhaben sieht, sollte der Wille, auch wenn es der einer Minderheit ist, gehört werden.

Mittlerweile hat der Protest nicht mehr das Ziel, das Bauvorhaben zu stoppen, sondern hinauszuzögern und zu verändern. Dies durchaus erfolgreich, der Bau, der bereits begonnen hat, wurde für ein halbes Jahr unterbrochen. Ohnehin wird der Bau, wie man sich denken kann, viele viele Jahre brauchen.

Die Demonstration selbst war übrigens relativ unspektakulär. Sie fand statt, am 26. September am Strand, wo jetzt noch Sand liegt, aber irgendwann der Hafen sein wird. Es gab eine Bühne, auf der Reden gehalten, Diskussionen geführt und Musik gespielt wurde. Die Musik war dabei entscheidender Bestandteil, das ganze wurde als eine Art Benefizkonzert aufgezogen.

Es gab eine Unterschriftenliste, auf der alle schön brav unterschrieben, Infostände und ganz viele Stände mit Merchandise-Produkten (ca. 20 verschiedene T-Shirts, Sticker, ein seltsames grünes Tuch usw.), dessen Erlös natürlich der Bewegung zu Gute kommt.

Bewacht wurde das ganze, anders als in Deutschland, nicht von der Polizei, sondern vom Militär. Die brauchen, anders als die Polizistinnen und Polizisten in Deutschland keinen Schutzhelm, denn sie tragen alle ein ein Meter langes Maschinengewehr. Gefahr geht von denen aber nicht aus. Die Veranstalter unterhalten sich mit den Soldaten so, wie sie es in Deutschland mit der Polizei täten. Generell war, bzw. bin ich sicher. Mit dem Unterschied, dass im Falle einer Eskalation eben Kugeln, statt Wasser und Tränengas flögen.


Das Transparent, das wir gemalt haben.



Der Protest wirkt auf mich gut organisiert. Dennoch sind dessen Erfolgsaussichten gering. Zu sehr sehnen sich viele, vor allem die Mächtigen, dem Wandel, dem Wirtschaftswachstum entgegen. Was als Fortschritt in den Augen der einen, der Politiker, der Wirtschaft und wahrscheinlich der Stadtbevölkerung und Teilen der Jugend gesehen wird, bedeutet Rückschritt, Ende und Tot für das jetzige Leben in Kok Payom.

Deshalb packt Kok Payom an. Ziel ist es, eine Sonntagsschule aufzubauen, in der Kok Payoms Kinder, die nur noch geistigen Unterricht erhalten, andere, traditionelle Dinge lernen. Die Dorfbevölkerung möchte ihren Kindern beibringen, wie man fischt, Krebse fängt, Boote baut, Bäume fällt, welche Pflanzen essbar sind und welche nicht, rundum all das, was das Leben als Fischer, mit dessen Naturverbundenheit ausmacht, in der Hoffnung, das bestehende Wissen, so gut und so lange es geht, zu bewahren.

Ich bin von der Idee total begeistert, wo ich sehe, wie ich als Internet Native vielleicht weiß, wie ich im Chat nonverbal kommuniziere, jedoch nicht, wie ich meinen Hunger ohne Aldi oder McDonald stillen könnte.

Möge das Wissen, welches in Deutschland bereits verloren gegangen ist, in Thailand lange erhalten bleiben!

Und wir Freiwillige dürfen, ja wurden sogar darum gebeten, dabei zu helfen.

Da kam es nur so gelegen, dass ein zweiwöchiges „Short-Term-Camp“ für die ersten beiden Oktoberwochen anstand. Es kamen neben den sieben Freiwillige aus Kok Payom, noch Freiwillige aus anderen Projekten und extra dafür angereiste zusammen, um im Mangrovenwald zu arbeiten. Dabei sollten wir die ganze Zeit über von immer so um die zehn Villagern unterstützt werden, bzw. sollten wir, diese unterstützen.

Die Schule sollte selbstverständlich im benachbarten Mangrovenwald gebaut werden. Da es aber ziemlich schwierig ist, ein Haus zu bauen, überließen wir das tatsächliche Bauen den Villagern, sodass sich unsere Arbeit meist darauf beschränkte, die ganzen Materialien in den Wald zu schleppen. Dies war aber schon anstrengend genug.

Nach einer Woche stand das Haus. Wie die Umsetzung am Ende aussieht, weiß ich noch nicht, da die Sonntagsschule noch, wie die „normale Schule“ auch, Ferien hat.

Sand schleppen...


...für die Sonntagsschule.


Übrigens haben wir in der zweiten Woche des Work-Camps eine Krebsfarm gebaut. All die, die bei Südostasien und Krebsfarm irgendwelche umweltzerstörende Fischereiindustrien von Unilever assoziieren, kann ich versprechen, sowas nicht aktiv unterstützen zu würden. In unserer Krebsfarm sollen alle gefangenen Krebse, die Eier mit Nachkommen tragen, natürlich und ohne Medikamente weiterleben, um so für einen nachhaltigen Krebsbestand zu sorgen. Sehr harte und ungewohnte Arbeit, barfuß, bei der Hitze, bis zu den Knien im Wasser stehend, für irgendwelche Krebse mit einem Spaten einen zwei Meter tiefen und bestimmt über 30 Meter langen Graben zu buddeln. Und obwohl es kein Problem ist, sich den Matsch und Schweiß abzuduschen, die Splitter mit der Pinzette zu entfernen, Schwielen mit der Zinksalbe einzureiben und Wunden vom Vortag, die trotz Leukoplast um das Hansaplast-100-%-Wasserdicht-Pflaster mit Matsch in Berührung kamen, zu desinfizieren, schmecken die Krebse nun doch irgendwie anders.

Alles in allem sehr anstrengende, aber definitiv effektive zwei Wochen!

Und nun geht dieser Blog-Beitrag langsam zu Ende. Wahrscheinlich klingt vieles des geschriebenen traurig. Deshalb möchte ich noch mal daran erinnern, dass nichts in der Welt nur schwarz oder weiß ist. Gerade die Industrialisierung hat definitiv seine guten Seiten. Gerade wenn man weiß, die durch den technischen Fortschritt gewonnene Zeit, anders als wir im Westen, für wichtige Dinge, wie Sport, Kunst und Kultur zu nutzen, statt sie dafür zu verschwenden mit Werbung, Verkaufstricks und ähnlichem, künstlichen Wert zu schaffen oder nach immer weiterem Wirtschaftwachstum zu streben. Deshalb besteht die Hoffnung, dass es Thailand gelingt, großen Nutzen aus den Chancen der Industrialisierung zu ziehen. Dies ist eine Kunst, die wir in Europa noch nicht ganz beherrschen, aber vielleicht thailändische Freiwillige in ein paar Jahrzehnten unseren Kindern beibringen können. Vielleicht bleibt uns Thailand im Glücklich sein voraus…

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