27. November 2010

Eine Odyssee

Jetzt bin ich schon fast drei Monate hier. Wenn ich dies zum Anlass nehme, die Erlebnisse, die ich bisher hier machen durfte, resümierend zu bewerten, käme ich zu einem Schluss irgendwo zwischen „super“ und „Wahnsinn“.

Ach, lassen wir uns doch dieses Resümee ziehen: Es ist geil hier!

Jedoch bedeutet mein dreimonatiges Hiersein auch, dass es Zeit ist, mein Visum zu erneuern. Dies tut man, indem man zur thailändischen Grenze geht, einmal kurz rüber und wieder ins Land rein. Oder man verbindet den „Visa-Run“ mit einem kurzem Urlaub in dem jeweiligen Land, um wieder Energie für die Arbeit in Kok Payom zu tanken. Option zwei klingt natürlich viel attraktiver und sollte ich wählen.

Da ich hier soweit im Süden liege, dass ich vom Strand aus bereits eine malaysische Insel mit dem bloßen Auge (plus Brille) erkennen kann, soll mein Kurzurlaub natürlich nach Malaysia gehen. Genaues Ziel ist die Stadt Georgetown, auf der Insel Pinang.

Wie kommt man an die Grenze? Mit dem Bus muss man ziemliche Umwege gehen. Deshalb scheint hitchhiken (per Anhalter fahren), die bessere Methode.

Hitchhiken in Thailand? Ja.

Das erste Auto, das in Kok Payom ankommt, bringt uns Freiwillige in die nahe gelegene Kleinstadt La-Ngu. Dort fahren die anderen Freiwillige mit dem Bus in die andere Richtung. Also bin ich jetzt allein.

Um 9:30 stehe ich am Stadtrand von La-Ngu. Keine zehn Autos fahren an mir vorbei, bis eines anhält und die Windschutzscheibe runterfährt. „Bai nai?“, werde ich gefragt. Ich antworte „bai Chalung.“ Eine kurze Handbewegung zeigt, ich darf auf die Ladefläche steigen. Um kurz nach zehn bin ich dann in Chalung.

Dort gehe ich dann zehn Minuten zur nächsten Straße Richtung Grenze. An der Straße angekommen, fahren an mir gefühlte drei Autos vorbei, bis von der Gegenspur ein Auto auf meine Seite rüberfährt und mich ebenfalls fragt „bai nai?“. Diesmal meine Antwort: „Maläy.“ Der Familienvater kommt zu dem Schluss, dass diese Straße zum Hitchhiken ungeeignet ist, da hier wenig Autos vorbeikämen und bringt mich kurz zu einer anderen Straße Richtung Grenze.

„Hitchhike ich halte hier“, denk ich mir und warte wieder keine 10 Minuten. Ja, es ist so einfach. Einige Freiwillige, nehmen zu Hitchhiken nicht einmal ihren Rucksack ab.

Warum ist es so einfach? Zum einen lieben Thais Farrangs (=Weiße). Sicherlich ist ein Grund dafür, dass Thailand größtenteils ihre Unabhängigkeit durchgängig bewahrt hat. Thais sind so gastfreundlich, dass es als Weißer einfacher ist zu hitchhiken, als für Thais. Sie finden es einfach cool einen Farrang rumzufahren. Zum anderen sind Thais absolut hilfsbereit. Dass mit dem per Anhalter fahren kenn die gar nicht. Für die steht da ein „hilfloser, orientierungsloser Weißer“, der irgendwo hin möchte.

Und dass Thais einen einfach nicht nur einfach mitnehmen, zeigt der Fahrer des Autos, in das ich nun steige.

Ich sitze in einem ziemlich coolen Auto. Die Klimaanlage ist voll an, die Fenster verdunkelt, die Tachometer leuchtet blau und der Fahrer ist angeschnallt. Er arbeitet, wie ich herausfinde im „Department of Transportation“ in Bangkok und besucht nun, zur Feier des muslimischen Feiertags seine Familie.

Nun nimmt er aber mich mit. Da er, obwohl er ein reicher Beamter ist, kein Englisch kann, fährt er erst mal zu einer Freundin. Diese soll mitkommen, damit wir uns besser unterhalten können. Diese ist Englischlehrerin, wenn ich es richtig habe. Verstehen tue ich sie nämlich nicht wirklich. Denn die kann so viel Englisch, wie ich Thai, wie die meisten Englischlehrerinnen hier. Und ich kann nach wie vor ziemlich wenig Thai. Aber deshalb hitchhike ich ja auch- um Thai zu lernen.

Ich sitze nun also im Auto, mit dem Fahrer, der seine Familie besucht und dessen Bekannte, die Englischlehrerin. Wohin es geht, weiß ich nicht. Nach kurzer Zeit befinden wir uns auf einer kleinen Straße, die durch ein Dorf führt. Wir landen bei der Familie meines Fahrers. Ich werde, was mich nicht wundert, zum Snack eingeladen. Natürlich Cah-numm (=Gebäck). Es ist ja Feiertag. Auch die Ananas kommt. „Sappalot“ bezeichne ich diese richtig, was mir gleich Sympathien einbringt. Eigentlich wäre der Kaffee üblich, ich bekomme aber Sprite.

Mein Fahrer ist nach seiner langen Autofahrt von Bangkok am Ziel. Dennoch fährt er mich, nachdem ich kurz den Snack zu mir nahm, zur Grenze. Den Sprit und die 15 Minuten Zeit für den Weg zur Grenze mit mir und für den Rückweg ohne mich, nimmt er und die Lehrerin gerne für mich auf. So gastfreundlich sind die Thais.

An der Grenze treffe ich einen älteren Herren aus Pakistan, der mich bittet, beim Ausfüllen seiner Arrivalcard zu helfen. Tue ich natürlich. Ich blättere in dessen Reisepass rum, um Informationen, wie Ausstellungsort und Gültigkeitsdatum zu finden. So ein pakistanischer Reisepass ist ziemlich dick, da mit Informationen, wie Namen der Eltern und Religionszugehörigkeit (dickste Schrift und unterstrichen) vollgestopft. Dass der Herr wahrscheinlich nicht am 1.1.1967 geboren ist, sondern wahrscheinlich deutlich früher, weiß ich, weil ich eine Woche zuvor diesen SpiegelOnline Artikel laß.

Jetzt bin ich in Malaysia. Es ist 12:10. Früh genug, um noch heute nach Georgetown zu kommen. Ich treffe wieder den Pakistani und frage ihn: „Where you go?“ (das „Do“ bewusst weggelassen). Er sagt: „wait van… you go Pinang [Georgetown]?“ „Yes“ „I bring you Kangar, you take bus“ „okey“ „You help, I help, we brothers.” Ich lächel zustimmend. Sein Van ist aber noch nicht da. Deshalb bittet er mich auf die Bank zu setzen und sagt: „wait brother“. Nachdem ich ihm sein Handy lieh und er es zurückgibt bedankt er sich mit den Worten: „Thank you, brother.“

Und er geht weg. Und ich warte.

Klar, ich könnte auch weggehen. Aber er ist mir sehr dankbar und möchte sich nun bedanken, versprach mir sogar zu helfen, da warte ich lieber.

Es regnet jetzt sowieso, da kann ich eh nicht los.

Und mein Brother kommt nicht. Er ist verschwunden. Nach eine Stunde gehe deshalb ohne ihn weiter.

Drei Autos warte ich, nimmt mich wieder einer mit. Diesmal ein Malaysier. „Hitchhiken geht also auch hier“, denk ich mir. Er setzt mich an einer Taxistation in einer Kleinstadt ab.

Und plötzlich ist man in einem anderen Land. Hier können die Menschen zwar viel besser Englisch, aber auch viel schlechter lachen. Plötzlich wird man nicht mehr überall „Hello you“, „Haha… Farang“, „What your name?“ mit großem Lachen begrüßt. Stattdessen guckt man in finstere Mienen.

Ich weiß nicht wie diese Stadt heißt, gehe fast wieder aus Malaysia raus. Alles ist leer. Große Straßen ohne Menschen. Viele Läden sind geschlossen, wegen des muslimischen Feiertags. Alles ist eh schon viel ärmer hier. So sieht man Läden, geschlossen, mit Eisengittern verriegelt und darüber teilweise sehr alte, heruntergekommene Reklameschilder. Einer der wenigen Läden, die geöffnet sind, verkauft alte Kassetten. Nicht gerade ein Produkt dieses Jahrtausends.

Der Himmel ist grau, es regnet, aber nur manchmal, ekliges Schauerwetter eben. Im Hintergrund sieht man Container, Baustellen. Ich war noch nicht an vielen Orten in meinem Leben. Größere Armut habe ich bis jetzt nur in Chicago gesehen. Insgesamt bleibt die Stadt, die Padang Besar heißt, als ärmste, toteste und traurigste Stadt in meiner Erinnerung.

Ich versuche zu hitchhiken. Vergeblich. Ich warte eine halbe Stunde, in der an mir über 200 Autos vorbeifahren. Einzige, die anhält, ist natürlich Thailänderin, die aber in die andere Richtung möchte. Zur Verteidigung des malaysischen Volkes muss ich aber eingestehen, dass ich an einer Stelle stehe, wo es schwierig ist, anzuhalten. Ich muss also wohl doch das Taxi nehmen und gehe zur Taxistation, bei der ich zuvor herausgelassen wurde.

Das Taxi, welches der einzige Ausweg aus dieser Stadt zu seien scheint, kostet ich 30 R. Ohne den Wechselkurs zu wissen, willige ich ein. Meinen Abschätzungen durch den Preisvergleich bei 7-11 wird es sich so um fünf Euro handeln.

Aufgenommen in Padang Besar.


Ich komme in Kangar gegen fünf an. Bunter ist es hier auch nicht. Immerhin ein KFC. Langsam ist es spät. Ein Bus-Express soll es hier geben. Im KFC geht es so langsam voran, dass ich mich entscheide weiterzugehen, obwohl meine letzte Mahlzeit um 8:30 war. Es gibt, wegen des Feiertags keine Alternative zu KFC. Die Leute, die ich nach dem Weg zur Busstation frage, antworten schlimmer als Deutsche. Kein Lachen, keine Frage, ein schlichtes Zeigen. Angekommen an der Busstation, sind von den bestimmt 20 Schaltern nur noch sechs offen. Ich frage jeden einzeln ab. Aber alle sagen mir es gingen heute keine Busse mehr nach Georgetown.

Immerhin. Hier gibt es Hotels und KFC ist 24h geöffnet. Bleiben will ich hier trotzdem nicht. Ich gehe zu einem stehenden Bus. Hier wird mir erklärt ich könne diesen Bus nehmen und dann in Alor Star umsteigen. Ich willige ein. Schlimmer kann es in Alor Star nicht sein. Auf meiner Karte, die sich im Touriheft, welches ich an der Grenze bekam, ist Alor Star zumindest eingezeichnet. Der Bus ist klimatisiert und die Sitze sind komfortabel.

Die Uhr im Bus irritiert mich. Hier ist es schon 6:40pm, eine Stunde voraus. Habe ich, ohne es zu wissen, eine Zeitzone durchstrichen?

Wie richtig es doch war, nicht bei KFC in der Schlange zu bleiben. Hätte ich gewartet, wäre der Bus ohne mich losgefahren.

Ich gucke aus dem Fenster und es wird langsam dunkel. Ein Hotelzimmer werde ich schon immer irgendwie kriegen, oder?
Ich komme nach 40 Minuten in Alor Star an. Es ist jetzt ganz dunkel. An dem Schalter dieses riesigen Busbahnhofs heißt es, ich könne nach Butterworth fahren und von dort eine Fähre nehmen. Der Bus geht um acht. „In 20 minutes“. Die Zeit ist also doch umgestellt, eine Stunde voraus. In den 20 Minuten kaufe ich mir schnell zwei Chickenburger. Mit denen müsste es sich bis morgen aushalten!

Problem: Butterworth ist zwar auf meiner Karte, wird aber klein sein. Größte Hoffnung: Der Ort liegt an der Küste. Eigentlich haben alle Orte am Meer Hotels. Sollte ich dort auf Tourismus treffen, wäre ich gerettet. Bis jetzt bin ich aber eh noch optimistisch, optimistisch genug, wieder eine Stadt mit KFC und Hotels hinter mir zu lassen.

Noch ein Blick auf die Karte: Schock. Der Weg nach Butterworth ist ziemlich weit. Von Kargar nach Alor Star dauerte es knappe 40 Minuten. Der Weg jetzt scheint mehr als 3-Mal so land. 3X40=120 Minuten… dann ist es, die Zeit wurde umgestellt, 22:00, ohne ein Hotel zu haben, noch richtig gegessen zu haben… we’ll see.

Als wir nach zehn Minuten an einer Reihe gut aussehender Hotels vorbeikommen denke ich nur: „Vielleicht hätte ich lieber hier bleiben sollen…“

Ich fühle mich wie beim Russian Roulette. Drei Mal hab ich gesagt weiterspielen. Dreimal haben sich die Orte vom Wert verdoppelt. Kangar ist doppelt so attraktiv wie Padang Besar, Alor Star doppelt so attraktiv wie Kangar. Und wahrscheinlich ist Butterworth doppelt so gut wie Alor Star. Ich sehe mich nur nachts durch eine Stadt irren, ohne ein Hotel zu finden, ohne gegessen zu haben… Ich werde, sage ich jetzt, nach dieser Runde aussteigen und in Butterworth bleiben.

Hafen… weit kann es also nicht mehr sein. Hafen… da fühlt man sich gleich wie zu Hause!

Ich hab mich verschätzt und komme bereits um halb zehn in Butterworth an. Ich irre ein wenig auf und um dem stark belebten Bahnhof rum. Keine Ahnung, wo ich hinsoll, deshalb folge ich dem Schild „Ferry“. Mit diesem öffentlichem und rege benutztem Verkehrsmittel fahre ich nach Georgetown, wo ich genau um 22:15 ankomme.

Ich höre Hupen… Leben! Das erste Taxi nehme ich, handeln tue ich gar nicht mehr. Ich will nur noch ins Guesthouse, dass Banana-Guesthouse, welches mit von einer Freiwilligen empfohlen wurde. Dort angekommen, sind nur noch etwas teurere Zimmer frei. Es ist mir egal. Zu müde bin ich, wobei ich einfach 10 Meter weiter ins nächste Guesthouse gehen könnte. Um viertel vor elf hab ich endlich eingecheckt und ein Bett.

Draußen gehe ich ins erstbeste Restaurant. Bezahlt. Es hat als doch geklappt: Ich bin angekommen, habe ein Bett und einen vollen Magen. Es ist halb zwölf.

Georgetown selbst ist die Reise aber wert gewesen! Eine der besten Städte, die ich je gesehen habe. Mit 300.000 Einwohnern alles außer zu groß. Die Insel hat eine lange Geschichte, war bedeutend in vielen Kriegen. So genießt sie sehr viele Einflüsse, britische, chinesische, indische, persische und natürlich malaysische. Die Innenstadt ist deshalb 2008 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt worden, da hier seit langem viele Kulturen und Religionen friedlich auf engem Raum zusammen leben. Man geht 10 Minuten und kommt an 100 Jahre alte Kirchen, Moscheen und chinesischen Tempeln vorbei. Chinatown und Indiatown sind wenige 100 Meter entfernt und dazwischen findet man persische Restaurants. Mehr Vielfalt, mehr Leben kann eine Stadt kaum haben.

Und dann liegt sie auch noch so schön am Meer. Weil die Stadt so attraktiv ist, gibt es auch viele Touristen hier. An der Küste findet man riesige Hotelanlagen und Shoppingmalls. Dort findet man sogar Timberland-Winterjacken. Auch können die Menschen in ganz Malaysia, besonders aber nochmal in Georgetown Englisch.

Die Stadt wurde, wie ich nachher erfahren habe, mehrfach und vauf verschiedenen Ranglisten in die Top Ten der attraktivsten Städte Asiens gewählt (unter anderem von der AsiaWeek).

Das ganze Rumgelaufe war dann aber doch ganz schön anstrengend. So habe ich mich nicht erholt, sondern erschöpft, aber die Stadt total genossen!

Nach zwei Nächten fahre ich zurück nach Thailand. Für acht Euro mit dem Direktbus…

Georgetown von der Fähre aus.

Man beachte die Schilder.

Eine Moschee...

...und noch eine.

Eine alte Kirche (St. Francis Xavier).

Weihnachtsdekoration.